Fahrräder bauen Brücken

 

Naviki-Interview: Shahrzad Mohammadi

Sie ist die Gründerin eines Vereins, der geflüchteten Frauen das Radfahren beibringt und dadurch Brücken zwischen Menschen aufbaut: Wir haben mit Shahrzad Mohammadi über Bike Bridge e.V. gesprochen und erfahren, wie ein Fahrrad räumliche und soziale Mobilität für Frauen schaffen kann. 

Naviki: Bike Bridge, wie der Name schon sagt, schlägt der Verein, der Frauen das Radfahren beibringt, Brücken – wie genau geschieht das?

Bike Bridge e.V. baut eine Brücke zwischen Mädchen und Frauen mit Flucht- oder/ und Migrationsgeschichte und Menschen aus der lokalen Bevölkerung mit dem Ziel, das Gemeinschaftsgefühl in der Gesellschaft zu stärken. Unsere Vereinsziele sind die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft. Das Fahrradfahren ist unser Instrument, mit dem wir die soziale und räumliche Mobilität von geflüchteten Frauen verbessern möchten. Wir bringen Einheimische und Zuwanderer im Kontext dieses Projekts zusammen, initiieren soziale Kontakte und bieten einen interkulturellen Rahmen, in dem wir voneinander lernen können. Viele Frauen mit oder ohne Migrationsgeschichte wirken bei Bike Bridge als ehrenamtliche Trainerinnen und Kinderbetreuerinnen mit. Zudem bieten wir auch andere Aktivitäten und Workshops meistens im Kooperation mit anderen Vereine und Organisationen, wie gemeinsame Kochevents, Workshop, kleine Deutschkurse innerhalb jedes Fahrradkurses sowie Fahrradtouren für alle Teilnehmerinnen, Trainerinnen und deren Familien an.

Warum ist es wichtig, dass sich das Angebot von Bike Bridge besonders an geflüchtete Frauen richtet? Wie alt sind die Frauen? 

Als ich ein Flüchtlingswohnheim 2015 zum ersten Mal besuchte und mit Frauen sprach, erzählten sie mir, dass es für sie kein Freizeitangebot gab und sie ihre Zeit fast nur drinnen verbrachten. Damals gab es einige Sportangebote, die sich aber nur an Kinder und Männer richteten. Ich überlegte, welche Aktivität zu ihnen passen könnte. Ich komme aus dem Iran, also auch aus einem islamischen Kulturkreis, so wie viele der geflüchtete Frauen. Im Mittleren Osten und Afrika haben die meisten Frauen nicht die Chance, Fahrradfahren zu lernen. Das Fahrradfahren hat in Freiburg einen besonderen Stellenwert. Den geflüchteten Frauen ist das ebenfalls positiv aufgefallen. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 20-65 Jahre alt. 

Wie vielen Frauen habt ihr bisher auf den Sattel geholfen und wie lange dauert ein Kurs? 

Bisher haben über 300 Frauen in 4 Städten (Freiburg, Frankfurt, Stuttgart und Paris) durch Bike Bridge das Radfahren gelernt. Die Bike & Belong Fahrradkurse sind der Schwerpunkt der Vereinsaktivitäten. Jeder B&B Kurs dauert insgesamt zwei Monaten. Zudem bieten wir ein offenes Training einmal pro Woche. 

Was fällt den Fahrrad-Anfängerinnen deiner Meinung nach besonders schwer und wie lange dauert es, bis sich Erfolge sehen lassen können? 

Für sie ist das Gleichgewicht auf dem Fahrrad zu finden und zu halten am Anfang schwierig. Manche Frauen lernen schneller, andere langsamer. Aber am Ende des Kurses können fast alle ohne Unterstützung Fahrradfahren. 

Spielen Sprach- und Kulturbarrieren in deiner Arbeit eine Rolle?

Wir sehen es nicht als „Kulturbarrieren“ sondern als Kulturunterschiede. Wir versuchen eine angenehme, einladende Atmosphäre zu schaffen, in der man gegenseitig Respekt voreinander hat – unabhängig von kulturellen Hintergründen und sprachlichen Unterschieden. 

Seit letztem Jahr wirkt bei jedem B&B Kurs in Freiburg mindestens eine Trainerin mit Flucht oder Migrationsgeschichte mit, die dann auch mit Übersetzungen hilft. 

Gab es Momente bei Bike Bridge, auf die du besonders gerne zurückblickst?

Ich habe mal von eine B&B-Kurskoordinatorin gehört, dass eine Mitte 50-jährige Teilnehmerin am Ende des Kurses geäußert hat: „Jedes Mal, wenn ich Fahrrad - nur geradeaus fahre - sende ich liebe Grüße an alle und an sie. Das Wunder ist geschehen“.
Eine andere Teilnehmerin hat mir mitgeteilt, dass sie die einzige in ihrer Familie war, die nicht Radfahren konnte. Wenn sie ein Familienpicknick machten, musste sie allein mit der Tram zum Treffpunkt fahren. Nun, sagt sie, sei sie die erste, die das Fahrrad nimmt. Solche Geschichte machen uns unglaublich glücklich und inspirieren uns weiter zu machen. 

Plant ihr das Angebot auszuweiten? Zum Beispiel alle Frauen anzusprechen oder sogar Kinder, Männer? 

Gerade konzentrieren wir uns nur auf Frauen, die das Radfahren lernen möchten. Wir versuchen, durch unser Angebot, so viele Frauen wie möglich zu erreichen. Deshalb skalieren wir gerade auf andere Städte. Bisher sind wir in einigen Städten in Deutschland und auch in Paris aktiv. Für die Zukunft haben wir aber sicherlich den Plan, andere Zielgruppen zu erreichen.

In drei Worten: Wie sieht für dich die perfekte Gesellschaft aus?

Frei, mobil, inklusiv. 

Wie kann man Bike Bridge unterstützen?

Wir freuen uns über jede helfende Hand. Ob als Trainerin/Kinderbetreuerin im nächsten Bike & Belong Fahrradkurs oder als SpenderIn von Sach- oder Geldspenden, wir freuen uns riesig. 

Danke, liebe Shahrzad!

Über Shahrzad Mohammadi

Shahrzad ist eine iranisch-stämmige Unternehmerin, die 2010 für ihr Master-Studium von Mahshadi nach Konstanz zog. Seit 2013 lebt Shahrzad in Freiburg. Neben ihrer Arbeit bei Bike Bridge promoviert sie zum Thema Integration geflüchteter Frauen durch Sport am Institut für Sport und Sportwissenschaften der Uni Freiburg

Naviki-Interviews

Interviews mit interessanten Menschen, die einen besonderen Bezug zum Radfahren haben.